Krieg in Zeiten von Frieden — der Übergang ins Zeitalter einer Welt ohne Konflikte

Andreas Berger
8 min readApr 5, 2018

In Phasen von globalen Veränderungen entstehen immer Risiken, die nur dann erkannt werden, wenn wir die globalen Zusammenhänge mit den historischen Erkenntnissen zusammenführen. Dies ist gerade 2018 wichtig, wo die westliche Welt sich ins Zeitalter dauerhaften Friedens bewegt, während andere Nationen verständlicher Weise noch nicht an der Schwelle zu dieser neuen, positiven Zukunft stehen. Wenngleich es auch dort ohne Zweifel solche Entwicklungen geben wird, so kann das Zeitfenster das zwischen den Nationen der westlichen Welt und den verbleibenden Nationen klafft massive geopolitische Risiken mit sich bringen, die es zu verstehen gilt, um auch diese Nationen ins neue und letzte Zeitalter der Menschheit des dauerhaften Friedens zu überführen. Das ist keine Utopie mehr, sondern faktische Realität. Wann dies passieren wird und ob dazwischen noch schwere globale Konflikte liegen, ist jedoch von unseren Handlungen, ja aber auch von unserem Verständnis der einzelnen Zusammenhänge abhängig.

Was ist damit gemeint? Seit dem 2. Weltkrieg befanden sich die westlichen Nationen — damit sind überwiegen Westeuropa und Nord — und zum Teil auch Südamerika gemeint — überwiegend in Frieden. Vietnam, Irak, Korea, Afghanistan, Nordafrika und andere Konflikte fanden zwar statt, aber stets außerhalb der geographischen Grenzen dieser westlichen Nationen, was wichtig ist für das Verständnis des Problems. Die oben genannten Kriege hatten — was man schon am Vietnam-Krieg sehen konnte — aber auch an den sonstigen indirekten Folgen solcher Konflikte, wie bspw. den Flüchtlingsbewegungen als Folge des Kriegs in Syriens nur noch eine noch stärke Abneigung der Bevölkerung gegen kriegerische Maßnahmen zur Folge. Die Bevölkerungen der westlichen Nationen sind Frieden gewohnt. Ja, sie sind im positiven Sinne vom Frieden verwöhnt. Sie haben vergessen, was Krieg im eigenen Land bedeutet, Nordamerika hat es nie gelernt und Osteuropa ist mit dem Ende des kalten Kriegs in friedliche Zeiten geglitten, ohne dass es wesentliche kriegerische Handlungen gab, sodass dort mental ähnliche Zustände herrschen. Kaum einer meiner Schulfreunde kann eine Waffe bedienen oder es sich auch nur vorstellen. Und in der uns nachfolgenden Generation wird schon der Führerschein zur Seltenheit, sodass schon die mobile Fortbewegung einer Armee kaum mehr sichergestellt werden könnte.

Russland, China, Nord-Korea, teile Südamerikas und Regionen in Afrika sind schlicht auf Grund anderer Entwicklungen noch nicht im Zeitalter des Friedens angekommen. Die Ausbildung von Soldaten ist dort noch Normalität. China hat heute mit 2.3 Mio. Soldaten die größte Armee der Welt, gefolgt von Russland und Indien mit 1.5 Mio. bzw. 1.2 Mio. und dem kleinen Nord-Korea mit immerhin 1.15 Mio. Zwar hat es auch in deren geographischen Grenzen schon lange keine kriegerischen Handlungen mehr gegeben — wenn man regionale Konflikte in Afrika ausblendet, aber anders als in den oben genannten Regionen stehen hier militärische Lösungen noch immer im Vordergrund. Und anders als in der westlichen Welt ist die Bevölkerung in diesen Nationen noch immer darauf vorbereitet, während hingegen Deutschland die Wehrpflicht abgeschafft hat, die Größe der Armee der Vereinigten Staaten, zumindest bis in die 90iger Jahre, stark gesunken ist und Frankreich, Großbritannien und Italien zusammen nur noch auf ca. 500.000 aktive Soldaten kommen.

Dies hat zwar nicht nur damit zu tun, dass wir in friedlicheren Zeiten leben, sondern auch damit, dass Krieg im 21. Jahrhundert nicht mehr mit den Mitteln des 20. Jahrhunderts bestritten wird. Problematisch dabei ist jedoch, dass die Regierungen und Militärs dies zwar verstehen und entsprechend ausbilden und handeln, die Bevölkerung im Allgemeinen aber nicht das Verständnis der Entscheidungsträger hat. Dadurch verschärft sich das Problem. Mit dem Schließen der Kasernen, der Abschaffung der Wehrpflicht und dem verlagern kriegerischer Handlungen in die dunklen Zimmer der Geheimdienste und fremde und abgelegene Regionen der Welt hat sich die Wahrnehmung in der Bevölkerung verändert. Der Einfluss fremder Nationen auf lokale Ereignisse war nie größer als heute, gleichzeitig aber auch nie unsichtbarer. Trotz Bildung, Internet und Geschwindigkeit der Medien wird noch heute, 15 Monate nach der letzten Präsidentschaftswahl, in den Vereinigten Staaten die Wahl und die Rolle Russlands darin ausgewertet — mit offenem Ende. Die Welt marschiert ins digitale Zeitalter. Manipulation, Einfluss und Angriffe werden heute durch die Unterwasserleitungen der Internet-Infrastruktur oder über Satelliten geleitet, deren Anzahl sich allein in den letzten zehn Jahre vervierfacht hat. Ein Hacker-Angriff, der massive politische oder wirtschaftliche oder aber auch soziale Auswirkungen haben kann, muss erst erkannt werden. Dann müssen die Täter identifiziert und die Motive gemutmaßt werden, ohne sicher sein zu können, ob die Mutmaßungen stimmen. War es Nord-Korea, war es China, war es Russland, waren es russische Hacker im Auftrag einer anderen Nation oder waren es doch nur private Angreifer mit reinen wirtschaftlichen Interessen? Diese und andere Unklarheiten haben zur Folge, dass Entscheidungsträger heute trotz des unendlichen Zugangs zu Wissen und Informationen mehr im Nebel stochern als je zuvor. Jeder Jugendliche hat heute mit einem Smartphone Zugang zu mehr Informationen als jeder Präsident vor 2000. Und das in Echtzeit. Gleichwohl ist ungleich schwieriger, die Fakten für eine politische Entscheidung zusammen zu tragen. Was stimmt? Welche Quelle ist vertrauenswürdig? Welche Information hat welchen Zweck, selbst wenn sie stimmt? Churchill wusste, wo die Panzer sind, wie viele Boote von Dünkirchen ablegen und wo die Flugzeuge die Bomben abwerfen — was die Entscheidungsfindung an sich sicherlich nicht erleichtert hat. Und wenngleich schon zu Zeiten Napoleons Karten gefälscht, in Zeitungsartikeln gelogen und auch sonst manipuliert wurde, so war doch das Bild klarer. Heute, in 2018, ist dies nicht mehr der Fall. Das macht es nicht nur für die Entscheidungsträger komplizierter, sondern auch für die Bevölkerung.

Das mediale Interesse an globalen Konflikten war sicher nie höher — was wir an den Überschriften auf den Titelseiten der Zeitungen oder aber auch auf unseren vielen Bildschirmen sehen können. Gleichwohl war das Verständnis der Hintergründe in der Bevölkerung nie geringer, während das Informationsvolumen nie höher war. Bis heute verstehen nur Wenige die Interessen der Chinesen und Russen in Vietnam, obwohl dies sehr detailliert in Büchern festgehalten ist, geschweige denn warum Kim noch immer in Nord-Korea geduldet wird oder warum wir Saudi-Arabien noch immer als starken Verbündenden betrachten. Trumps tweets hingegen verfolgen ca. 50 Mio. Follower, Tendenz steigend und seit 15 Monaten ist er täglich auf den Titelseiten der nationalen und internationalen Zeitungen, neben Pornostars, gekündigten Mitarbeiten, den Oscar-Gewinnern, NFL Spielern oder aber auch politischen Persönlichkeiten wie Herrn Duterte von den Philippinen, von dem er sich auch gern den ein oder anderen rhetorischen Trick abschaut. Globale Zusammenhänge waren nie komplexer. Die Welt ist internationaler geworden. Vernetzt. Klein. Frei. Friedlich. Und die westliche Welt hat daher auch die offensichtlichen kriegerischen Aktivitäten massiv zurückgefahren. Und das ist auch richtig so. Weniger Panzer, weniger Soldaten, weniger Gewehre, weniger Kasernen. Dies führt jedoch zur — ja vielleicht sogar unbewussten — Wahrnehmung in der Gesellschaft, dass Krieg weit weg ist.

Problematisch dabei ist jedoch, dass dies nicht zwingend ist. Wenngleich wir in den friedlichsten Zeiten der Menschheitsgeschichte leben und wenngleich wir uns unstreitig in das letzte Zeitalter der Menschheit bewegen — der absoluten Friedenszeit, so kann es durchaus sein, dass auf dem Weg dorthin geopolitische Konflikte, ja Kriege aufkommen, die es zu bewältigen gibt, ja ggf. sogar in unseren Breitengraden. Ich habe in den letzten Jahren den Führern und Militärs der westlichen Welt u.a. bei Veranstaltungen der Münchner Sicherheitskonferenz in den Hinterzimmern zuhören dürfen und bin geschockt. Während wir uns mit deutschem Pass global bewegen und in über 190 Länder ohne große Probleme einreisen können und mit unseren Freunden überall auf der Welt zusammen sein können, sprechen die Entscheidungsträger dieser Welt von Hackern, von Kommunismus, von internationaler Wirtschaftskriminalität, Korruption und davon, dass man als Entscheidungsträger in China nicht mit dem eigenen Handy einreisen sollte. Es klingt zum Teil wie in den schlechten Filmen der 90iger Jahre. Botschafter werden des Landes verwiesen, Reporter ermordet, Flugzeuge verschwinden, Dialoge zwischen Präsidenten werden auf Twitter geführt und globale Probleme im kleinen Kreis in Davos oder beim G20-Gipfel besprochen, während die technologischen Entwicklungen den Entscheidungsträgern in exponentieller Geschwindigkeit davonlaufen. Die Diskrepanz zwischen gelebter Wirklichkeit und potentieller Gefahr war nie größer. Krieg ist für viele von uns das unrealistischste aller Szenarien. Ja, die Hand gegenüber unseren Kindern zu erheben ist heute schon eine absurde Vorstellung. Wie soll da Platz für die Vorstellung sein, dass Gewehr zu erheben — gegenüber Freunden von Freunden. Die westliche Welt hat das Zeitalter des Krieges verlassen. Die Mentalität der westlichen Bevölkerung hat sich weiterentwickelt.

Wir wären für einen Krieg, an Land, auf dem Wasser und in der Luft, nicht vorbereitet. Ja allein der Gedanke ist unvorstellbar. Ausgeschlossen werden kann eine solche Situation jedoch nicht. Es ist theoretisch durchaus denkbar, dass Kriege aufkommen, bevor sie ganz verschwinden. Wie ein letztes Aufraffen des Löwen, bevor er stirbt. Europa würde in Wochen fallen. Südamerika ist schutzlos, wenngleich auch uninteressant. Afrika ist bereits in der Hand fremder Mächte und Amerika — ja, wer weiß das schon. Die Küsten schützen das Land noch immer. Wir reden jedoch von kleinen Berufsarmeen mit altem Bestand ohne gut ausgebildete Reservisten. Die Irak-Zurückkehrer in den Vereinigten Staaten sind Familienväter und werden vierzig. Und Europa? Ohne Worte. Und das ist keine Kritik. Es ist die logische Folge der positiven Entwicklungen unseres Zeitalters.

Doch warum dann die vorstehenden Zeilen. Sie sollen zum Ausdruck bringen, dass bei allem Optimismus eine unbedingte Entschlossenheit der westlichen Welt unabdingbar ist. Nie zuvor waren internationale Zusammenschlüsse wie die NATO oder aber auch die United Nations — wenngleich deren Reputation in den letzten Jahren stark gelitten hat — wichtiger als je zuvor. Ja, die NATO wurde gerade gegründet, um nie wieder in das Zeitalter von Kriegen zurück zu fallen. Und wenngleich Nationalismus gerade En Vogue ist, so dürfen wir nicht vergessen, dass gerade jetzt, an der Schwelle zum Zeitalter absoluten Friedens die internationale Verbunden- und Entschlossenheit das wichtigste Mittel ist, um die restlichen Nationen der Welt mitzunehmen. Diese nicht zu verlieren, schulden wir allen Kindern dieser Welt. Wir schulden es nicht nur uns selbst, sondern vor allem den zukünftigen Generationen, die als erste Generation die Chance hat, in das Zeitalter absoluten Friedens geboren zu werden. Ohne globale Konflikte, ohne kriegerische Handlungen. Denn wenngleich die Armeen Russlands, Chinas oder aber auch Nord-Koreas eine nicht unwesentliche Größe haben, so verlieren sie doch jeden Tag mehr an Bedeutung. Die Länder, in die man auf Grund kriegerischer Konflikte nicht einreisen kann und sollte, lassen sich heute an einer Hand abzählen — Syrien, Südsudan und vielleicht Jemen? Selbst in den Irak, nach Afghanistan, nach Birma, Nigeria und auch Nord-Korea kann man heute, wenn die Reise nicht politisch motiviert ist und man vorsichtig ist, ohne größere Risiken einreisen. Von den zehn unsichersten Städten der Welt liegen sieben nicht im mittleren Osten oder in Afrika, sondern in Südamerika — und zwei in den USA. Drogen und Korruptionen sorgen dort noch immer für massive Gefahr für die Bevölkerung. Doch globale Konflikte drohen nicht von der Geburtsstädte Pablo Escobars. Sie drohen von den Nationen, die noch immer an den alten Werkzeugen der Politik festhalten. Und denen müssen wir uns entgegenstellen. Geschlossen. Als westliche Welt. Trotz aller Unstimmigkeiten und persönlichen Abneigungen derzeitiger Entscheidungsträger. Trumps Amtszeit wird genauso vorbeigehen, wie die von Erdogan, Merkel oder Putin. Aber das Selbstverständnis der westlichen Welt, dass wir in das Zeitalter des absoluten Friedens eingetreten sind wird bleiben. Es liegt daher an den heutigen und zukünftigen Entscheidungsträgern, dieses Selbstverständnis zu beschützen und jede Gefährdung im Keim zu ersticken. Und das geht nur gemeinsam.

18/3/22 — Flight from SJC to Tokyo

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Andreas Berger

Advisor, Consultant, Inventor, Philosopher, Author and Business Leader/Owner.